Lob gebührt dem Drachenreiter, zollt es ihm durch Wort und Tat




„Dragon’s Code“ von Gigi McCaffrey
 erschienen bei Penguin Random House, derzeit nur auf Englisch
Sowas wie eine Rezension von Anne Neuschwander

Rührt die Trommeln für den Krieg,
Schlagt die Harfe für den Sieg,                                                            
Feuer, friss dich tief ins Land,
bis der Rote Stern gebannt
Eine Kurzschlussentscheidung war es, die mich an einem Donnerstagmorgen dieses Buch auf meinen Kindle laden ließ. Oh, habe ich voller Freude gedacht, was Neues aus Pern!
Es ist schon eine Weile her, seit ich dieses Gefühl das letzte Mal hatte. Anne McCaffrey, meine Lieblingsautorin (wenn ich mich denn auf eine festnageln lassen müsste), wurde 85 Jahre alt und starb bereits im Jahr 2011. Sie hinterließ viele Welten, in die man sich als Leser verlieben kann, aber Pern scheint mit Abstand die mit der größten Anziehungskraft zu sein.
So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass schon vor ihrem Tod, Annes Sohn Todd in Pern sein schriftstellerisches Zuhause suchte, und er, erst zusammen mit seiner Mutter, dann später auch allein, Bücher über die Drachenwelt und seine Bewohner verfasste.
Ich mag Todd McCaffrey. Er hat eine sehr gute Schreibe, schafft es, Charaktere zu erschaffen, die mich interessieren. Seine Bücher haben eigentlich alles, was ich an Fantasy (oder streng genommen, Science-Fiction) Büchern mag.
Und dennoch… irgendwas hat für mich gefehlt, bei jedem einzelnen seiner Pern-Werke. Erst aber als ich kürzlich aus einer Laune heraus anfing, das Pern-Buch seiner kleinen Schwester Gigi zu lesen, fand ich heraus, was es war.
Um was aber geht es hier denn überhaupt? Für alle, die Pern noch nicht kennen, hier eine kleine Einführung – spoilerfrei übrigens, denn all dies ist bereits im Prolog des allerersten Pern-Buches „Die Welt der Drachen“ zu lesen:
PERN ist der dritte Planet der Sonne Rubkat im Sagittarius-Sektor. Besiedelt von Menschen, die der Technologie so weit wie möglich den Rücken kehren wollten, wird auf Pern eine Agrarsiedlung errichtet.
Jahre nach ihrer Ankunft auf Pern werden die Kolonisten plötzlich von einem Wanderstern überrascht, der auf seinem Streifzug einen tödlichen Organismus in Pern’s Atmosphäre ablädt. Diese so genannten „Fäden“ fallen periodisch über Teilen des Planeten und verschlingen jedes organische Material, sei es Pflanze, Tier oder Mensch. Nur Feuer zerstört die Fäden, und nur unter Stein oder Metall ist man vor ihnen sicher.
In ihrem verzweifelten Kampf gegen diesen nicht intelligenten, aber dadurch nicht minder zerstörerischen Feind, machen sich die Kolonisten eine einheimische Lebensart zunutze, die so genannten Feuerechsen. Diese den mythologischen Drachen sehr ähnlichen Wesen besitzen die Fähigkeit, Feuer zu spucken, zu teleportieren – und sie sind telepathisch veranlagt.
Aus diesen ursprünglich recht kleinen Flugwesen züchten die Kolonisten riesige Drachen, die direkt nach dem Schlüpfen eine lebenslange, geistige Verbindung mit ihrem ausgewählten Reiter eingehen.
So werden die Drachenreiter von Pern geboren, die fortan im halsbrecherischen Flugkampf die Siedlungen vor den Fäden beschützen.
Generationen später ist das Wissen um die Besiedlung Perns, und jegliche moderne Technologie, verloren gegangen. Die exzentrische Umlaufbahn des Roten Sterns, wie der Wanderplanet fortan auf Pern genannt wird, bedingt ein nur intervallartiges Fallen der Fäden. Immer wieder erleben die Kolonisten trügerisch lange Phasen des Friedens, in denen die Fäden nur noch als Schauergeschichte gesehen werden, und nur noch alte Balladen und Lehrgesänge Hinweise darauf geben, wie mit den Fäden umzugehen ist, und wie wichtig die Drachen dabei sind.
Nach einer solchen langen Phase wird Pern plötzlich wieder von den Fäden heimgesucht. Nur wenige Drachen sind nach diesem Intervall noch übrig, und es ist an den Drachenreitern Lessa und F’lar, einen Weg zu finden, die ausgedehnten Farmen und Siedlungen vor der tödlichen Heimsuchung zu beschützen…
Hier beginnt Anne McCaffreys ursprüngliche Geschichte. Wie genau Lessa es schafft, Pern zu retten, das wird in den ersten Büchern der Reihe erzählt. Sie sind der Einstieg in eine komplexe, wohldurchdachte Welt, deren vertraute mittelalterlich anmutende Kulisse tatsächlich auch einmal Sinn ergibt.
„Dragon’s Code“, Gigi’s Buch, um das es hier eigentlich gehen soll, spielt einige Jahre nach diesem ersten verheerenden Fädenfall des neuen Intervalls, und knüpft direkt an mehrere Handlungsfäden an, die Anne in einigen ihrer Bücher angefangen hatte. Sie werden aufgegriffen, aus anderen Sichtweisen erzählt – aber zu großen Teilen trifft man hier altbekannte, liebgewonnene Charaktere wieder, die es wie ein nach Hause kommen anmuten lassen, das Buch zu lesen.
Es ist schwierig, die Handlung des Romans zu erklären, ohne zuviel für diejenigen preiszugeben, die erst Annes Bücher lesen wollen. Es ist eine coming-of-age Geschichte, eine Geschichte über Verlust, und darüber, seinen Platz im Leben zu finden. Obwohl der Hauptcharakter, Piemur, selbst kein Drachenreiter ist, spielt ein Großteil des Buches in deren direktem Umfeld.
(Und für alle, die Pern schon kennen: Piemur’s Geschichte wird so ziemlich im direkten Anschluss an „Drachentrommeln“ wieder aufgenommen, und alle Geschehnisse rund um die „Alten“ und das gestohlene Drachenei bekommen wir aus seiner Sicht erzählt.)
Ich bin mir relativ sicher, dass „Dragon’s Code“ auch gut als  – recht abrupten gebe ich zu – Einstieg in die Welt der Drachen genommen werden kann. Vieles wird noch einmal erklärt, noch einmal gezeigt, und viele der im Hintergrund ablaufenden Handlungsstränge und politischen Verzwickungen sind nur Beiwerk für die Fans, und für die Haupthandlung des Buchs nicht wirklich relevant. 
Zumindest war das mein Eindruck, allerdings bin ich als Pern-Experte da auch nicht die verlässlichste Quelle! J
In vielerlei Hinsicht ist Gigis Buch sehr gut, in anderen… naja. Es liest sich wie ein typisches Erstlingswerk, hat die ein oder andere Schwäche in Erzählstil oder Spannungsaufbau, die so schwer auszumerzen sind. Todds Bücher haben diese Schwächen nicht mehr, er ist als Autor über sie hinausgewachsen.
Aber erinnert ihr euch noch, als ich meinte, ich hätte endlich herausgefunden, was mir an Todds Büchern fehlte? Die Antwort ist: Herz. Für mich hat Gigis Buch mehr Herz als Todds Bücher alle zusammengenommen.
Ich kann nur hoffen, dass es Annes Tochter sein wird, die Pern in die Zukunft führen wird.