Die Gedanken sind frei – für jeden zu hören….

Patrick Ness

New World – Die Flucht
„The Knife of never letting go“

Ravensburger Buchverlag

ISBN: 978-3473584130


Todd Hewitt wächst in Prentisstown auf, einer kleinen Stadt in New World. Er ist der jüngste Bewohner und er wird bald ein Mann. Mit 13 Jahren wird man in Prentisstown zum Mann und Todd kann es kaum erwarten. Seit er denken kann, lebt er bei Ben und Cillian. Seine Mutter und alle anderen Frauen sind gestorben, als er noch klein war – im Krieg gegen die Ureinwohner von New World, den Spackle. Diese Wesen haben ein Virus freigesetzt, dass alle Frauen und viele der Männer getötet hat und als Nebeneffekt bewirkte, dass jeder die Gedanken der anderen hören kann bzw. muss… Tag und Nacht… einschließlich der Tiere.
Doch dann trifft Todd im Wald auf ein Mädchen… etwas, dass nicht sein kann, nicht sein darf und die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen. Plötzlich ist Todd auf der Flucht, zusammen mit seinem Hund Manchee und diesem Mädchen und er muss nach und nach erkennen, dass die „Wahrheit“ in Prentisstown nicht unbedingt der Wahrheit über New World entsprechen muss.

Der Autor Patrick Ness hat mit New World eine spannende, dystopische Trilogie erschaffen, die in „Die Flucht“ ihren Auftakt findet. Wer hätte nicht schon gern einmal in die Gedanken eines oder einer anderen hineingehorcht. Gezielt mag die Sache ja spannend erscheinen, doch was, wenn all die Gedanken – sämtlicher Menschen und Tiere – ungefiltert über einen hereinbrechen würden? Genau diese Frage beschäftigt Patrick Ness und auch den Leser seines Romans. Während des Lesens ertappt man sich oft dabei, dass man meint, hier müsste der Gegenüber doch Bescheid, schließlich hört er doch die Gedanken – aber Ness versteht es, meiner Ansicht nach, recht gut, hier Erklärungen zu liefern. Wie in vielen Science Fiction Geschichten muss man sich natürlich auf diese Lösungen einlassen – wenn da z.B. die Rede ist von Kontrolle der eigenen Gedanken, damit der Gegenüber nicht das wahre Denken erfährt… Moment… wenn man alles hört dann doch auch… naja… Es ist so, und lässt sich schwerlich beweisen, dass es so nicht funktionieren würde – und akzeptiert man die Metaphysik dieser Geschichte, ist und bleibt es eine spannende Story. 
Ein toller Aspekt ist der Umgang mit der Wahrheit in dieser Geschichte. Gerade für jugendliche Leser könnte sie aufzeigen, dass Wahrheit durchaus ein relativer Begriff ist. Wenn ich nie etwas anderes zu hören bekomme, als eine wohlgeplante Lüge, dann ist es für mich wohl eine fundamentale Wahrheit?! 
Das Weltbild von Todd bringt der Autor innerhalb der Geschichte mehr und mehr ins Wanken und dieser Teil der Geschichte war für mich fast noch spannender als die Flucht des Jungen an sich. Man ahnt recht schnell, welche Wahrheit hinter den Lügen in Prentisstown steckt, doch für Todd, der mit der Lüge aufgewachsen ist, ist es unendlich schwer, sie zu akzeptieren. 
Genug um den heißen Brei geredet, um möglichst nichts zu verraten. Die Geschichte ist spannend und innovativ. Ein wenig eintönig mag die andauernde Flucht erscheinen, doch ist die Entwicklung des Charakters Todd hier von entscheidender Bedeutung. Dies betrifft nicht nur seinen Fortschritt im Hinblick auf das Thema „Wahrheit“, sondern auch auf seinen „Kampf“ mit dem Messer… es einzusetzen oder nicht – Feigling oder Mörder. Hier ist viel Platz für Diskussion mit anderen Lesern – vielleicht sogar in Schulklassen!
Etwas schwierig fand ich die Idee von den denkenden Tieren. Mir persönlich widerstrebt das Konzept eines Hundes der „muss kacken“ denkt, hier wird aus meiner Sicht zu sehr vermenschlicht – ganz davon abgesehen, das der Stil hier etwas leidet und die ständige Wiederholung nervt. Erneut ein Punkt, den man in der Geschichte akzeptieren muss, hin und wieder ist es ganz witzig. Wundervoll dagegen die Herde der eingeborenen Tiere in der Mitte des Buches – an der Stelle erhält man einen Einblick, wie das Gedanken-hören-Konzept in der evolutionären Anpassung möglichweise wirklich funktioniert haben könnte.

Der erste Teil endet hart und lässt dem geneigten Leser fast keine andere Wahl,  als auch den zweiten Teil zu lesen. Das ist allerdings nicht negativ gemeint! Vielmehr brennt man darauf zu erfahren, ob und wie es mit den beiden Protagonisten nach langer Flucht und in schier aussichtsloser Situation weitergehen wird.

Der Roman überzeugt und ist für jugendliche Leser frühestens ab 12 – 14 zu empfehlen. Nach oben gibt es keine Alterseinschränkungen. Für einen offenen und Science Fiction – liebenden Geist gibt es in dieser Geschichte viele interessante Aspekte zu entdecken, die für die eine oder andere Diskussion sorgen dürften.